Archiv-Ticker № 1/2009
Unsterbliche judenfeindliche Propaganda

Flugschriften, Einblattdrucke, historische Chroniken und die Gazetten vergangener Zeiten haben jahrhundertelang ein judenfeindliches Zerrbild geschaffen, welches sich nach und nach in den Köpfen der Menschen festgesetzt und sicher mit dazu beigetragen hat, dass während der Judenverfolgung im Dritten Reich so viele Menschen teilnahmslos weggeschaut haben.

Schon Goethe, so überliefert er uns in seinen Erinnerungen Aus Dichtung und Wahrheit, wurde durch diese Berichte in seinem Judenbild negativ beeinflusst. Wörtlich heißt es dort: »Dabei schwebten die alten Märchen von Grausamkeit der Juden gegen die Christenkinder, die wir in Gottfrieds Chronik gräßlich abgebildet gesehen, düster vor dem jungen Gemüt«.[1] Die Erinnerungen von denen Goethe hier spricht, gehen zurück in seine Kindertage Mitte des 18. Jahrhunderts. Leider hatte sich seit dem, trotz der zeitweiligen positiven Debatte über die Stellung der Juden in den Jahren der Aufklärung und während der Emanzipationsbewegung Mitte des 19. Jahrhunderts nicht wirklich etwas Grundlegendes gebessert. Im Gegenteil, Ende des 19. Jahrhunderts wandelte sich die allgemeine Judenfeindlichkeit zum rassisch begründeten Antisemitismus, dessen Folgen wir bis heute, nicht nur in den Reden des iranischen Staatspräsidenten Ahmadinedschad oder den Parolen der Rechtsextremisten spüren. In ihrem Kampf gegen das Judentum kamen den Antisemiten die historischen Lügen von Hostienschändung und Ritualmord gerade recht, um ihre zweifelhaften rassischen Vorurteile zu belegen.

Mit Verwunderung und Zorn muss man feststellen, dass diese Lügen und Verleumdungen auch während der Jahre der Weimarer Republik, also lange vor der Machtergreifung Hitlers, verbreitet wurden. Einer der zahlreichen entsprechenden Belege stammt aus der Stadt Sternberg in Mecklenburg. Wie andere Städte auch, gab Sternberg 1922, auf der Höhe der Inflationszeit, eigenes Notgeld heraus. Leider glaubte man in Sternberg, dem inneren Frieden durch judenfeindliche Motive dienen zu können. So zeigen drei der Geldscheinmotive vermeintliche Szenen aus dem Mittelalter. 1492 soll ein Priester Juden geweihte Hostien verkauft haben, die von den Juden zur Hostienschändung genutzt worden seien. Dafür seien sie dann am 24. Oktober 1492 auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden.

Die Wirkung dieses »Blutgeldes« trug mit den genannten Publikationen dazu bei, dem Nationalsozialismus und der Judenvernichtung den Boden zu bereiten.

Siegburg im September 2009



[1] Goethes Werke, Band IX, Autobiographische Schriften I, Aus Dichtung und Wahrheit, 4. Buch, S. 150 [Hamburger Ausgabe, München 1981].

Q: Notgeld der Stadt Sternberg (Mecklenburg) aus dem Jahr 1922, Originalvorlagen.