Archiv-Ticker № 1/2010
Kirchen und Schulen: eine unselige antisemitische Allianz

Leider finden sich Judenfeindlichkeit und Antisemitismus nicht nur in der historischen deutschen Tagespublizistik, sondern auch in alten deutschen Kinder- und Schulbüchern bzw. Zeitungen und Zeitschriften für Schüler und Jugendliche sowie in vielen Kirchenblättern. In diesen Publikationen kann man nachlesen, wie den Kindern der Virus »Antisemitismus« schon in der Schule eingeimpft worden ist. Einen Virus, den dann im späteren Leben die so genannten Kirchenblätter weiter verbreitet haben.

So verbreitete der Stern der Jugend, eine Illustrierte Wochenschrift für Schüler höherer Lehranstalten, in seiner Ausgabe vom 24. März 1906 einen so genannten Unterrichtsbrief, der an Heinrich Heines fünfzigsten Todestag erinnern sollte (s. Abb. 1a+b). Darin heißt es u.a.: 

Heine trägt ja den Widerspruch in sich: Dem deutschen Land entsprossen, war er doch nicht Fleisch von unserem Fleische; er hat die deutschen Dichter, die Klassiker wie die Romantiker in sich aufgenommen und verarbeitet und doch ist er so fern dem deutschen Geiste, und doch hat er all die Großen, die ihn genährt, verspottet und verhöhnt. Wie also? Ist Heine der große Dichter, als welcher er gepriesen wird, der größte Lyriker nach Goethe? Oder ist er bloß der poetische Macher, der sittliche Lump, wie sein Gegner ihn schelten? Hier ist des Rätsels kurze Lösung: Heine ist Jude, jüdisch ist seine Abstammung, jüdisch seine Gesinnung, jüdisch seine Dichtung. […] Heines Lyrik ist also aus jüdischem Herzen geflossen … Heine kann daher nie und nimmer ein echt deutscher Lyriker sein. […] Heine war für das deutsche Volk ein Unglück … wenn wir viele solcher zersetzende Geister hätten, dann wäre es um die Gesundheit der Nation geschehen. 

Mit derartigen Beurteilungen hat der anonyme Autor der späteren Bücherverbrennung der Nationalsozialisten den Weg geebnet!

Auch Kirchenblätter haben dem rassischen Antisemitismus den Boden bereitet. LEO – Sonntagsblatt für das katholische Volk [1] (s. Abb. 2) aus der Paderborner Bonifacius-Druckerei, entwickelte sich leider zu einem wahren »Hetzblatt«, das nicht davor zurückschreckte, immer wieder offen Werbung für antisemitische Literatur, wie den Judenspiegel oder Der Mauscheljude zu verbreiten (s. Abb. 3).[2] Aus der Vielzahl judenfeindlicher und antisemitischer Beiträge möchte ich hier an eine monatelange Kampagne aus dem Jahre 1882 gegen den damaligen Inhaber  Bonner Fahnenfabrik, Josef Meyer, erinnern. Die Bonner Fahnenfabrik, 1866 von Josef Meyer, der jüdischen Glaubens war, gegründet, hatte sich im Laufe der Jahre einen ausgezeichneten Ruf erworben und belieferte  das Kaiserhaus, Vereine und Gesellschaften mit ihren Produkten. Zu Beginn der achtziger Jahre dehnte sie ihre Werbung auch auf katholische Vereine und Gesellschaften aus, ein Vorstoß, der in der katholischen Tagespublizistik auf entschiedenen Widerstand traf. Mit einer Vielzahl von Briefen und Artikeln wurden Pfarreien und katholischen Vereine unter Druck gesetzt, die bei der Bonner Fahnenfabrik Bestellungen aufgegeben hatten. Man dürfe dort nicht kaufen, lautete das Verdikt, schließlich sei der Inhaber des Geschäfts ein Jude! (s. Abb. 4). Die Zeitung stellte dann die Frage, ob es nicht unerhört sei, dass ein Judengeschäft so in das innerste Heiligtum des katholischen Kultus eindringe.[3]

Die Beiträge über die »israelitische Bonner Fahnenfabrik«[4] stellen leider nur die Spitze eines antisemitischen Eisberges in dieser katholischen Postille dar. Immer wieder sind Ritualmord-Lügen, Hetze gegen die autonome jüdische Schulausbildung oder Angriffe gegen jüdische Geschäfte und Verlage Themen dieses wahrhaft ›unchristlichen‹ Blattes. Gut, dass es im Orkus der Geschichte verschwunden ist. Leider muss man ab und an solche Blätter erinnern, wenn man ergründen will, warum die deutsche Öffentlichkeit der Vernichtung der Juden während des Nationalsozialismus weitgehend teilnahmslos zugesehen hat! 

Siegburg, im Dezember 2010 - Franz Josef Wiegelmann



[1] LEO Sonntagsblatt für das katholische Volk. Herausgegeben von Joseph Rebbert. Paderborn. Druck und Verlag der Bonifacius-Druckerei. Das Sonntagsblatt erschien von 1878 bis 1941.

[2] LEO, Verlags-Katalog, Beilage zum »LEO« Nr. 47 – 1885.

[3] LEO, Nr. 45 vom 5. November 1882, S. 355f.

[4] LEO, Nr. 39 vom 24. September 1882, S. 308f. 

Q.1: Stern der Jugend. Illustrierte Wochenschrift für Schüler Höherer Schulen. Donauwörth, 24. März 1906, Heft 12, 13. Jahrgang.
Q.2: Leo. Sonntagsblatt für das katholische Volk. Paderborn, 24. September 1882, Nr. 39, 5. Jahrgang.
Q.3: Leo. Sonntagsblatt für das katholische Volk. Paderborn, 5. November 1882, Nr. 45, 5. Jahrgang.